In seinen 65 Lebensjahren komponierte Bach, zumeist unter extremem Zeitdruck, an die 1.000 Werke -- um so erstaunlicher ist es immer wieder, festzustellen, welch minutiöse Perfektion selbst seine großen Werke aufweisen. Zu diesen großen Werken gehören unzweifelhaft die beiden Passionen.

Die Johannes-Passion, die in der Karwoche 1724 erstmals aufgeführt wurde, erscheint wesentlich dramatischer als die eher filigrane Matthäus-Passion. Die ganze Macht des Volkes (personifiziert durch die Chöre), das lautstark die Auslieferung und Kreuzigung Jesu fordert, wird hier greifbar. Dafür ist der im letzten Chor erreichte Frieden umso tiefer und dauerhafter: "Ruht wohl, ihr heiligen Gebeine, die ich nun länger nicht beweine".

John Eliot Gardiner, Spezialist im Bereich der Alten Musik, liefert hier die perfekte und doch mitreißende Interpretation einer perfekten Komposition, wie Bach sie wohl, angesichts der ihm zu seiner Zeit zur Verfügung stehenden bescheidenen musikalischen Mittel, nur mit seinen inneren Ohren je gehört haben dürfte. Gardiner bemüht sich stets um einen maximalen Grad an Authentizität; gemeinsam mit den ausschließlich auf Barockinstrumenten spielenden English Baroque Soloists und dem phantastischen Chor The Monteverdi Choir gelingt es ihm so, die ganze Schönheit der Johannes-Passion, die eben nicht im Pathos, sondern in der Schlichtheit liegt, auferstehen zu lassen. Solisten wie Michael Chance (Altus) und Nancy Argenta (Sopran) runden das Klangerlebnis zu einem Hochgenuß ab. --Hildegard Biergann